Österreichs meistgesuchter Mann: Tibor Foco – schuldig?

Tibor Theodor Foco (* 18. April 1956 in Linz), ehemaliger Zuhälter und 250-cm³-Motorrad-Berg-Europameister. Im Jahre 1987 wurde er wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt - zu diesem Zeitpunkt wusste man noch nicht, dass der Fall Foco zu einem der spektakulärsten Justizkrimis überhaupt wird. Nach seiner Flucht vor über 25 Jahren sucht Europol weiterhin nach dem inzwischen 64-Jährigen. 

Linz/Oberösterreich - 14. März 1986: Nahe den Gleisen der Westbahn im Bereich des Barbara-Friedhofes in Linz wird frühmorgens eine Frauenleiche gefunden. Beamten der Kripo rücken an, die Presse und Schaulustige befinden sich bereits vor Ort. “Die Frau wurde durch einen Schuss in das Gesicht, unterhalb ihres linken Auges ermordet” vermerkten die Ermittler später in ihren Unterlagen. Der Frauenkörper wies auch zahlreiche Wunden, Prellungen und Knochenbrüche auf. Der Mörder muss mit größter Brutalität vorgegangen sein. Die Frau war zudem im Bereich des Unterleibs entkleidet. Die Polizei vermutete, um die Tat sexuell motiviert aussehen zu lassen. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass es sich bei der Ermordeten um Elfriede H. - eine Prostituierte, die zuletzt ihrer Tätigkeit in einem Bordell in der Linzer Goethestraße nachging - handelte. 

Die Frage der Schuld 

Schon einen Tag nach dem Leichenfund konnte ein Verdächtiger verhaftet werden: Tibor Foco, damals 29 Jahre alt, durchtrainiert, äußerst diszipliniert und intelligent - früherer Champion des Motorradsports. Er betreibt das “Bunny”, eine Rotlichtbar, in der auch Frauen anschaffen gehen sollen. In Focos Lokal wurden Blutspuren gefunden. Auch der Fundort der Leiche befand sich nur 200 Meter von der Bar entfernt. Nach seiner Verhaftung, bestreitet Foco den Mord begangen zu haben. Ein Alibi gibt ihm seine damalige Ehefrau. Festgenommen wurde auch die 22-jährige Regina U., welche im "Bunny" als Prostituierte gearbeitet haben und gleichzeitig die Geliebte ihres Zuhälters Foco gewesen sein soll. Auch sie bestreitet 1986 jegliche Verwicklung in den Mord an Elfriede H. Später versucht Regina U. den Ermittlern immer neue Versionen des Geschehens aufzutischen. Sie behauptet: Sie sei von ihrem "Meister" zum tödlichen Schuss auf Elfriede H. gezwungen worden. Beschuldigt als Mittäter wird auch Peter L., ein guter Bekannter von Foco. Auch er bestreitet jede Tatbeteiligung. Bereits die ersten Vernehmungen zeigen sich als Beginn eines Justizkrimis, wie man ihn in Österreich schon lange nicht mehr gesehen hat. Trotz Widersprüchen, Zweifel und voneinander abweichenden Versionen beginnt knapp ein Jahr später der Prozess am Landesgericht Linz. Reporter der "Oberösterreichischen Nachrichten" notierten fast 80 geladene Zeugen und fünf Sachverständige. Am Ende des Prozesses schenkt das Geschworenengericht der Version von Regina U. Glauben. Tibor Foco wird am 31. März 1987 zu einer lebenslangen Haft wegen Mordes an Elfriede H. verurteilt. Peter L. muss für 18 Jahre wegen Mittäterschaft hinter Gitter. Die Kronzeugin Regina U. wird wegen “entschuldigenden Notstands” freigesprochen. Der Mordfall an Elfriede H. scheint abgeschlossen, doch in Wahrheit beginnt er erst.

Vorwurf der Folter 

Auch nach dem Richterspruch bestreiten Foco und auch Peter L. weiterhin, etwas mit dem Mord an der Prostituierten zu tun zu haben. Unter anderem argumentieren sie vehement: “Es sei DNA eines Unbekannten an der Leiche gefunden worden”. Energisch kämpfen sie vom Gefängnis aus für ihre Freilassung. 1992 erreicht Peter L. die Wiederaufnahme seines Verfahrens und wird 1996 freigesprochen. Er erhält umgerechnet rund 230.000 Euro als Entschädigung. Der Grund seiner Freilassung: Regina U. zog ihre Aussage von 1986 zurück. Sie behauptete von der Linzer Polizei gefoltert und zu ihrer damaligen Aussage gezwungen worden zu sein. Die Behörde streitet dies ab - Beweise gibt es bis heute nicht. 

Die Flucht 

Auch Foco strengte eine Neuauflage seines Prozesses an - doch offensichtlich reichte seine Geduld dafür nicht. Seine Flucht wurde aus dem Gefängnis Stein an der Donau offensichtlich über mehrere Jahre hinweg geplant. Die Polizei ist davon überzeugt , dass er sich so ein ganzes Netzwerk an Fluchthelfern aufbauen und sein Vorhaben bis ins kleinste Detail planen konnte. Bereits kurz nach seiner Inhaftierung beginnt Foco, Briefe nach draußen zu schreiben. Die Kommunikation mit der Außenwelt wurde für Foco ab 1993 deutlich einfacher, denn seinen Komplizen gelang es, Handys in die Haftanstalt zu schmuggeln. Außerdem besorgten sie ihm ein Motorrad, eine Kawasaki ZX 750 F "Ninja", für das in der Nähe der Linzer Uniklinik eine Garage angemietet wurde. Während seiner Haftzeit wird Foco genehmigt, Rechtswissenschaften an der JKU Linz zu studieren - seinen eigenen Angaben zufolge mit dem Ziel seinen Freispruch zu erkämpfen. Heute wird vermutet, dass dies alles von Anfang an Teil seines Fluchtplans war. Im Zuge dessen besuchte er mehrmals die rechtswissenschaftliche Universität und stellte immer wieder Anträge, um das Verfahren neu aufzurollen. Der damalige Professor des Institutes für Strafrecht an der JKU, Dr. Wegscheider, war gleichzeitig auch Focos Verteidiger. Wie so oft sucht Foco auch am 27. April 1995 in Begleitung von zwei Justizbeamten die JKU Linz auf. Er gibt vor, in einem Hörsaal etwas nachsehen zu wollen und bringt sich so aus dem Blickwinkel der beiden Justizbeamten. Foco verschwindet anschließend im Getümmel der Universität. Aus der Toilette im 3. Stock des Juridicums holt er sich ein von einer Fluchthelferin bereitgelegtes Tränengasspray und den Schlüssel zur Garage in der sich die schwarze Kawasaki befindet. Dort zieht er sich Bikerkluft an, steigt auf, wirft den Motor an und fährt in Richtung Westen. Es wird sofort eine Großfahndung gestartet, doch diese blieb erfolglos. Einige Fluchthelfer wurden später zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt - jedoch von Tibor Foco fehlt bis heute jede Spur. 

Entwicklung seit der Flucht 

1997 - in Focos Abwesenheit, hebt ein Gericht seine lebenslange Haft auf. Auch der internationale Haftbefehl wird zurückgezogen, bei einer Rückkehr wird ihm freies Geleit zugesichert. Doch Foco lässt sich darauf nicht ein - er bleibt untergetaucht. Drei Jahre später wird Foco erneut angeklagt wegen des Verdachts des Mordes an Elfriede H. Ein neuer internationaler Haftbefehl wird ausgestellt, die Fahndung aufgenommen - doch auch diese bleibt erfolglos. 2005 gab es seitens der Justiz ein neues Angebot: Bis zum Abschluss eines neuen Verfahrens würde Foco nicht in U-Haft genommen werden - ihm wird freies Geleit zugesichert. Doch wieder geht Foco nicht darauf ein und bleibt fern. Wo Foco sich derzeit aufhält oder ob er überhaupt noch lebt, weiß niemand genau. Und wer es doch weiß, schweigt. Lange Zeit gab es Gerüchte, dass er sich in die Vereinigten Staaten abgesetzt hat, aber auch Ungarn oder eine Pazifikinsel wurden als seine Aufenthaltsorte genannt - doch bis jetzt blieben dies nur Gerüchte. 

Justizskandal made in Austria? 

Es gibt nicht wenige in Österreich, die Foco als Opfer eines Justizskandals sehen. Die Staatsanwaltschaft ist jedoch von der Schuld Focos überzeugt und möchte den heute 64-Jährigen vor Gericht sehen. Nicht nur österreichische Ermittlungsbehörden fahnden mit immensen Aufwand nach ihm, auch Europol erklärt ihn zu den meist gesuchten Verdächtigen des Kontinents. Des weiteren sollen Fahnder auf ihn angesetzt sein - doch bisher tappen diese im Dunkeln. Das größte Problem: Niemand weiß, wie Foco heute aussieht. Obwohl Spezialisten des österreichischen Bundeskriminalamtes sein Bild von 1986 künstlich altern ließen, weiß keiner wie realistisch das ist. Bis zum heutigen Tag konnte der Mord an Elfriede H. nicht aufgeklärt werden, denn ohne den Hauptverdächtigen kann es zu keiner Neuauflage des Prozesses kommen. Schuldig oder unschuldig ist hier die große Frage, die nur Tibor Foco selbst beantworten kann. Eines bleibt Tibor Foco auf jeden Fall: Österreichs meistgesuchter Mann und spektakulärster, ungelöster, österreichischer Kriminalfall des 20. Jahrhunderts.

Ungereimtheiten im Fall 

● Linzer Polizei soll zahlreiche Ermittlungsfehler begangen haben und Zeugen gelenkt bzw. laut Regina U. gefoltert haben. 

● Einer der ermittelnden Kriminalbeamten ist inzwischen mit der Ex-Ehefrau Focos verheiratet, die das erste Alibi zurückgezogen hatte 

● Bei einer Sachverständigen wurde eingebrochen und Beweismaterial gestohlen, eine Anzeige erfolgte erst nach fünf Jahren. 

● Die in den USA in Florida lebende Kronzeugin Regina U. widerrief am 5. März 1993 ihr damaliges Geständnis. 

● Schließlich intervenierten auch die damaligen Geschworenen für die Wiederaufnahme.